Schmerzen sind ein Warnsignal des Körpers, das uns vor einem möglichen dauerhaften, physischen Schaden bewahren soll. Sobald die auslösende Ursache ausgeheilt ist, klingen diese akuten Schmerzen von selbst ab. Wenn die Schmerzen aber unabhängig von einer Ursache immer wieder oder gar dauerhaft auftreten, dann wird der Schmerz selbst zur Erkrankung.
Im folgenden Beitrag aus der Reihe Video-Visite erklärt Dr. Tobias Weigl was Schmerz überhaupt ist und wer Schmerzen überhaupt hat. Schauen Sie sich gerne diesen Beitrag an.
1. Der Schmerz als Erkrankung
Wiederkehrende oder dauerhafte Schmerzen werden als chronische Schmerzen bezeichnet, unabhängig davon, ob eine Schmerzursache noch vorliegt oder nicht mehr. Bei der Chronifizierung der Schmerzen kommt es im Körper durch einen wiederholten akuten Schmerzreiz zu plastischen und funktionellen Veränderungen im schmerzleitenden und schmerzverarbeitenden System (nozizeptives System, lat. <nocere> = schädigen). Diese können sich dauerhaft manifestieren.
2. Die Schmerzverarbeitung
Um die Veränderungen, die zu chronischen Schmerzen geführt haben, zu verstehen, hilft es, sich die Signalwege im gesunden Menschen anzusehen.
Der menschliche Körper ist mit einem Netzwerk aus feinen Nervenfasern durchzogen. Alle Nervenfasern, die sich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks durch den Körper erstrecken, werden unter dem Begriff „peripheres Nervensystem“ zusammengefasst. Die Nervenfasern im Gehirn und im Rückenmark bilden dagegen das „zentrale Nervensystem“. Innerhalb des peripheren Nervensystems unterscheidet man fünf Arten von Nervenfasern. Die Aα-, Aβ-, Aδ- und C-Fasern nehmen sensorische Reize wahr und leiten die Informationen über diese Reize über das Rückenmark zum Gehirn. Dabei verarbeiten die Aα- und Aβ-Fasern nicht schmerzhafte Reize und die Aδ- und C-Fasern schmerzhafte, sogenannte noxische Reize. Der fünfte Typ sind die B-Fasern, die vom Gehirn ausgesendete Informationen in den restlichen Körper weiterleiten. Mit Hilfe diese Fasern werden unter anderem die Bewegungen der Muskulatur gesteuert.
Der Großteil des peripheren Nervensystems dient jedoch dazu schmerzhafte Reize aufzunehmen und weiterzuleiten. Die schmerzverarbeitenden Aδ- und C-Fasern, die man Nozizeptoren nennt, enden in der Haut, den inneren Geweben (z.B. Bindegewebe, Knochenhaut, Gelenkshaut) und den Organen. Dort verzweigen sie sich in ein dichtes Netz aus feinen, freien Nervenenden. Man spricht bei den Nozizeptoren auch von den dünnen Nervenfasern (engl.: Small Fibers). Sie sind gegenüber den Aα-, Aβ- und B-Fasern kaum bzw. gar nicht von einer dicken Myelinschicht ummantelt.
Wird eine Schmerzfaser durch einen noxischen Reiz aktiviert, wird die Information darüber wie eine Welle entlang der Faser hin zum Rückenmark weitergeleitet. Dort besitzen die Nozizeptoren Verbindungen zu Nervenzellen des Rückenmarks aus (synaptische Verbindung). Die Fasern dieser Rückenmarksneurone reichen ihrerseits bis in die schmerzverarbeitenden Gehirnareale.
3. Die Chronifizierung des Schmerzes
Ein wiederholt auftretender Schmerzreiz kann zu einer Chronifizierung der Schmerzen führen. Dabei kann es an allen drei Stationen der Schmerzverarbeitung (1. Nozizeptor, 2. Rückenmarksneurone, 3. Gehirn) zu dauerhaften Veränderungen kommen. Es entsteht ein sogenanntes Schmerzgedächtnis. Eine Behandlungsmöglichkeit bietet hier die gezielte Elektrostimulation, bei der die dünnen Nervenfasern aktiviert und dadurch das Schmerzgedächtnis dauerhaft wird.
4. Neuronale Plastizität
Das menschliche Nervensystem ist ein komplexes System. Die Informationsübertragung verläuft über die sog. Synapsen, sie informieren das Gehirn über den aktuellen Zustand in den einzelnen Regionen im Körper. Einer der lebenswichtigen Weiterleitungen sind die Schmerzreize, die z.B. bei einer akuten Verletzung das Leben retten kann. Wenn Sie mehr über die neuronale Plastizität erfahren wollen, dann lesen Sie den Blogartikel von Doktor Weigl.
,,Wenn ein akuter Schmerz zu lange bestehen bleibt, dann entwickelt sich durch Veränderungsprozesse der Nervenzellen ein sog. Schmerzgedächtnis''
5. Referenzen und weiterführende Literatur
Thomm M (2011): Schmerzmanagement in der Pflege. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York.
Zieglgänsberger W & Azad SC (2007): Chronische Schmerzen: Pathophysiologische Grundlagen – Konsequenzen für die Therapie. Psychotherapie 12(12): 78-84
Jahnel R (2005): Untersuchungen zum molekularen Mechanismus der Schmerzrezeption, insbesondere biochemische Charakterisierung der thermosensitiven Vanilloid-Rezeptoren TRPV1 und TRPV2. Dissertation, FU Berlin, Deutschland
Ritzert B (2013): Ursache der Schmerzchronifizierung – Verhängnisvolle Sensibilisierung. Nova Wissen 1/2013. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2001): Chronischer Schmerz – Ergebnisse der Forschung verbessern die Versorgung der Patienten. BMBF, Bonn.
Basbaum AI, Bautista DM, Scherrer G, Julius D (2009): Cellular and Molecular Mechanism of Pain. Cell 139: 267-284.
Mello RD, Dickenson AH (2008): Spinal Cord Mechanism of Pain. British Journal of Anaesthesia 101(1): 8-16.
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