Die Akzeptanz in der Öffentlichkeit muss erst noch wachsen
Bastian Pusch, Team Sportfreunde Braunschweig
In Deutschland findet der Amputiertenfußball noch wenig Beachtung. Doch dank einer Initiative treffen sich seit 2009 Hobby-Fußballer aus der ganzen Republik regelmäßig zu Trainingsstunden und Turnieren. Wir haben mit Bastian Pusch vom Team Sportfreunde Braunschweig über die öffentliche Wahrnehmung von Amputiertenfußball in Deutschland und anderen euopäischen Ländern gesprochen, über die Freude am Spiel und die Herausforderungen im Jahr 2016, denen sich die Vereine stellen wollen.
bomedus: Herr Pusch, würden Sie sich unseren Lesern bitte in kurzen Worten vorstellen?
S. Pusch: Ich heiße Bastian Pusch, bin 38 Jahre alt, 2facher Familienvater und arbeite im Vertriebsinnendienst bei der Mast-Jägermeister SE in Wolfenbüttel. Auf dem Weg zur Berufsschule hatte ich im Oktober 1996 den Autounfall, der zu meiner Amputation führte.
bomedus: Wann und wie sind Sie auf den Amputiertenfußball aufmerksam geworden? Welche Position spielen Sie?
S. Pusch: Ich habe mich Ende 2012 beruflich verändern wollen und eine Bekannte motivierte mich etwas in der Richtung "positiver Umgang mit Behinderung" zu machen. Bei der Suche nach möglichen Tätigkeitsfeldern bin ich auf die Website des damalig einzigen Amputiertenfussballvereins, dem 1. AFC, aufmerksam geworden. Aus meiner Kontaktaufnahme resultierte ein zeitnaher Anruf bei mir und die damit verbundene Trainingseinladung zum Februar-Training 2013 in Ellwangen. Rund 500km von meinem Wohnort entfernt. Aber als Fußballverrückter hab ich mich natürlich trotzdem auf den Weg gemacht. Und bin hängen geblieben.
bomedus: Welche positiven Auswirkungen hat der Sport auf Sie?
S. Pusch: Die positiven Aspekte von Bewegung brauche ich hier sicherlich nicht aufzuzählen. Aber es ist schon besonders, nach mehr als 16 Jahren wieder gemeinsam einem Ball hinterher zu jagen und Fußball zu spielen. Zwar nur mit einem Bein, aber das geht nach erster Eingewöhnung schnell sehr selbstverständlich.
Das sehe ich jetzt auch bei unseren neuen Spielern. Und da können die alten Hasen und ich ihnen Mut machen.
Denn das ist auch die interessantere Erfahrung: Allen fehlt etwas, egal ob Arm oder Bein. Und das "wie, warum und weshalb" interessiert niemanden. Natürlich spricht man dann irgendwann auch mal drüber und tauscht sich über die Gründe der Amputation aus. Aber es ist nicht die erste Frage beim Kennenlernen.
bomedus: Wie oft trainieren Sie?
S. Pusch: Wir sind deutschlandweit knapp 20 Aktive, mittlerweile in 4 Vereinen vertreten. Die Vereine befinden sich in Hoffenheim, Ludwigsburg, Obergünzburg und Braunschweig. Daher ist es unmöglich, einen wöchentlichen Trainingsbetrieb darzustellen. In der Regel treffen sich die Vereinsmannschaften untereinander alle 2-4 Wochen, alle zusammen einmal im Quartal.
Da ist jeder ambitionierte Spieler zuhause selbst gefordert etwas an seiner Fitness und seinen Fertigkeiten zu tun.
bomedus: Wie muss man sich Amputiertenfußball vorstellen?
S. Pusch: Gespielt wird Amputiertenfußball "draußen" mit 6 beinamputierten Feldspielern und einem Torwart, idealerweise Arm-amputiert. "Normale" Kicker sind auch immer gern gesehen, diese dürfen dann allerdings nur ein Bein nutzen. Ein "normaler" Torwart steckt einfach einen Arm unters Trikot.
Das Spiel wird ohne Prothesen an Metallkrücken gespielt. Unterarmgehstützen sind internationaler Standard. Krücken aus Metall, die fast bis unter die Achseln reichen, dürfen benutzt werden.
Gelegentlicher Kontakt zwischen dem Ball und einer Krücke ist erlaubt. Die Krücken sollten jedoch nicht benutzt werden, um den Ball nach vorne zu spielen. Stoppen oder die Weitergabe des Balles mit dem Krücken wird als Handspiel gewertet.
Der Stumpf oder ein verkürztes Bein darf nicht zum Vorbringen des Balles benutzt werden. Diese Regel hält das Spiel fair; Spieler sollen den Vorteil eines längeren Stumpfes zum Nachteil eines Spielers mit einem kürzeren Stumpfes nicht ausnutzen. Zufällige Berührungen sind erlaubt, ein Spieler sollte jedoch den Stumpf oder das verkürzte Glied zum Stoppen oder zur Weitergabe des Balles nicht benutzen.
Im Außenbereich wird auf Jugend-Feldgröße (ca. 51 x 31 Meter) gespielt, im Innenbereich ist jede Sport- oder Soccerhalle geeignet.
Eindrücke, weitere Informationen und Kontaktpersonen findet man am einfachsten unter www.amputierten-fussball.de.
bomedus: Was ist der größte Unterschied verglichen mit Fußball für Zweibeiner?
S. Pusch: Aus Sicht der Spieler gibt es lediglich eine kleine Einschränkung: Die Drehung um die eigene Achse. Regeltechnisch gibt es kleine Unterschiede: Ein (technisch unmöglicher) Einwurf wird zum Einschuss und der Torwart darf den Strafraum nicht verlassen.
Alles andere läuft ähnlich schnell wie beim normalen Fußball.
bomedus: Wie hat sich der Sport entwickelt? Wie viele Spieler und Vereine gibt es bei uns?
S. Pusch: Als Lothar, der Begründer des deutschen Amputiertenfußballs, 2006 ein Turnier in London sah, motivierte ihn das, auch hier eine Mannschaft aufzubauen. Seit 2009 können wir in regelmäßigen Abständen trainieren, um unsere Taktik, Geschwindigkeit und Treffsicherheit zu verbessern.
Wie bereits oben gesagt: Aktuell sind es deutschlandweit knapp 20 Aktive, mittlerweile in 4 Vereinen vertreten. Die Vereine befinden sich in Hoffenheim, Ludwigsburg, Obergünzburg und Braunschweig.
Für ein Land mit mehr als 80 Millionen Einwohnern und Fußball als Sportart #1 eine recht geringe Anzahl.
bomedus: Wie unterscheidet sich der Amputiertenfußball in Deutschland von anderen Ländern?
S. Pusch: Ein Aspekt ist die Akzeptanz von Behindertensport im Allgemeinen. Da ist Großbritannien führend, aber auch Polen, Russland und die Türkei sind deutlich weiter. Außerdem, so habe ich auf einer Veranstaltung mit dem Deutschen Behindertensportverband Anfang Dezember erfahren, hat Deutschland eine andere Struktur/ Organisation beim Neuaufbau. In Deutschland geht die Initiative von "unten", also den Vereinen aus. In fast allen aktiven Ländern ist es andersherum. Da wird eine Sportart "erdacht", eine nationale Mannschaft gegründet und dann erst geschieht eine Aufteilung auf Vereine. Quasi wie bei uns aktuell, nur dass dafür die Verbandsstrukturen halt andersherum sind.
bomedus: Wo liegen die größten Herausforderungen?
S. Pusch: Im vorgenannten Verbandsbereich und der damit einhergehenden Unterstützung. Die WM-Teilnahme haben wir nur durch eine wahnsinnige Kraftanstrengung finanziell bewältigen können. Wir hatten eine Crowdfunding-Aktion bei fairplaid.org über 16.000 EUR gestartet, dann kamen die Bundesliga- und BVB-Stiftung "leuchte auf" mit großen Summen. Aber am allerwichtigsten war ein einzelner Gönner, der von unserem Vorhaben erfuhr und die Flugkosten im Alleingang übernommen hat.
bomedus: Was ist euer Ziel für 2016?
S. Pusch: Ziel ist IMMER die Spielergewinnung und Begeisterung für den Sport.
Der Weg dorthin führt über die Stärkung der Vereinsmannschaften und ausgetragene, möglichst öffentlichkeitswirksame Spiele & Turniere. Hier haben wir grad ein heißes Eisen im Feuer, Stichwort: Blindenfußball-Bundesliga. Außerdem finden am Pfingstwochenende in der Eifel im Rahmen eines großen Fußballturniers zwei Länderspiele gegen die holländische Auswahl statt.
Ich formuliere es immer so: "Wenn die Oma in der Zeitung liest, das es fußballspielende Einbeiner auf Krücken gibt, das dann ihrem Enkel erzählt der grad einen Freund in der Klinik hat, dann sind wir auf dem richtigen Weg."
Es geht also um Präsenz und Öffentlichkeit. Dann können wir vielleicht auch unser oben genanntes Ziel erreichen! Vielleicht ist es dann gar nicht mehr so weit zu einer Liga mit 5-8 Mannschaften, einer Nationalmannschaft und richtigem Spielbetrieb....
bomedus: Wir bedanken uns bei Herrn Pusch für das aufschlussreiche Interview und wünschen dem Amputiertenfußball Deutschland viel Erfolg für die Zukunft!