Ist alles gut, was geht?
Prof Dr. Andreas Straube, Neurologe, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft und Oberarzt an der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Universität München.
Das Motto des Deutschen Schmerzkongresses 2013 lautete: „Moderne Schmerztherapie: Ist alles gut, was geht?“. Darüber und über Rückenschmerzen im Speziellen haben wir mit Herrn Prof. Dr. med. Andreas Straube gesprochen. Herr Prof. Straube ist Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) und seit Jahren auf die Behandlung von Schmerzpatienten spezialisiert.
bomedus: Vielen Dank Herr Prof. Dr. Straube, dass Sie sich Zeit für uns nehmen! Wir haben in Deutschland knapp 13 Millionen Schmerzpatienten. Am häufigsten haben die Deutschen Kopfschmerzen gefolgt von Rückenschmerzen. Laut BKK 2013 ist Rückenschmerz Grund Nummer 1 für Arbeitsausfälle. Sind wir alle Schwächlinge oder woran liegt das?
Prof. Dr. Straube: Die Zunahme von Schmerzerkrankungen ist sicherlich ein Zeichen der sich verändernden Lebensumstände. Für den Symptomenkomplex Kopfschmerz haben wir mittlerweile belastbare Zahlen, die zeigen, dass zum Beispiel in Großstädten die Kopfschmerzhäufigkeit höher ist als in ländlichen Gebieten. Wir wissen mittlerweile auch, dass traumatische Lebensereignisse aber auch andauernde Konflikte die Kopfschmerzhäufigkeit bei Kindern erhöht. Möglicherweise führt einerseits die höhere Verdichtung der Lebensereignisse dazu, dass wir weniger gut lernen mit Stress und Konflikten umzugehen und andererseits auch häufiger mit Stress und Konflikten konfrontiert sind.
bomedus: Gehen Frauen und Männer eigentlich unterschiedlich mit Schmerzen um?
Prof. Dr. Straube: Alle bisherigen Daten weisen darauf hin, dass gerade chronische Schmerzen bei Frauen häufiger auftreten als bei Männern, dies gilt besonders für die primären Kopfschmerzen. So tritt die chronische Migräne 4-5 Mal häufiger bei Frauen auf als bei Männern. Ob dieses primär an einer größeren Häufigkeit liegt oder ein sekundär anderes Umgehen mit Schmerzen liegt, ist im Einzelfall unklar.
bomedus: Überall liest man, dass Bewegung und eine gute Muskulatur Schmerzen lindern. Doch dient der Schmerz nicht auch als Warnsignal? Was ist, wenn es mir auf einmal, z.B. im Rücken oder in der Schulter, höllisch weh tut? Sollte dann nicht gelten: „Leg Dich hin und ruh Dich aus“.
Prof. Dr. Straube: Bei akuten Schmerzen ist es in der ersten Zeit sinnvoll Belastungen zu reduzieren. Dieses soll aber in keinem Fall unnötig lang ausgedehnt werden und ist im Einzelfall zu entscheiden. Studien bezüglich unkomplizierter Rückenschmerzen haben eindrucksvoll gezeigt, dass Patienten, die direkt zur Aktivierung angehalten wurden, gesund wurden, als Patienten, die zuerst Bettruhe einhielten.
bomedus: Und wie ist das bei chronischen Schmerzen?
Prof. Dr. Straube: Diese Frage muss mit einem klaren Bekenntnis zur Bewegung und Aktivierung beantwortet werden. Schmerzen die längere Zeit anhalten verlieren ihren weichen Charakter. Eine dann einsetzende Passivität, gepaart mit einem ängstlichen Verhalten führt gerade zu einer Verstärkung und Chronifizierung der Schmerzen. Ein rechtzeitiges Aufklären über diese Mechanismen und einfühlsames Begleiten des Patienten, im Sinne einer Unterstützung des Patienten zu einem aktiven Umgehen mit den Schmerzen, ist unbedingt geboten.
bomedus: Das Motto des Deutschen Schmerzkongresses 2013 lautete: „Moderne Schmerztherapie: Ist alles gut, was geht?“. Was genau wurde diskutiert und inwieweit hat es Bedeutung für die Patienten?
Prof. Dr. Straube: Das Motto des Deutschen Schmerzkongress 2013 reflektiert auch eine kritische Bestandsaufnahme des schmerztherapeutischen Tuns. Es hat sich gerade gezeigt, dass invasive, technisch häufig brillante Verfahren im Langzeitverlauf keinen Nutzen für die Patienten bringen. Auch kann manchmal ein Zuviel an Therapie eher zu einer Chronifizierung der Schmerzen beitragen, dadurch, dass der Patient sich in seinen Befürchtungen bestätigt fühlt. All diese Punkte sind im Einzelfall zu bedenken und manchmal ist eben nicht alles gut, was gemacht werden kann.
bomedus: Und wie sehen Sie in der heutigen Zeit das Arzt-Patienten-Verhältnis? Zum einen kommen Schmerzpatienten bedingt durch das Umfeld mit unrealistischen Erwartungen zum Arzt, zum anderen steht der Arzt unter zunehmenden ökonomischen Zwängen. Wie sind da ein „gesundes“ Verhältnis und die Auswahl der best-möglichen Schmerztherapie möglich?
Prof. Dr. Straube: Die Ökonomisierung der Medizin ist ein Problem. Einerseits wird der Therapeut gezwungen externe finanzielle Vorgaben zu erfüllen, andererseits muss er auch an finanzielle Vorgaben seiner Praxis denken. Konsequenz davon ist in der Regel ein Zuwenig an Zeit für die individuelle Betreuung des Patienten. Dieses Zuwenig an Kommunikation ist häufig auch der Grund für unrealistische Erwartungen der Patienten, die dann in einem erneuten Frustrationserleben enden, welches zur weiteren Chronifizierung der Schmerzerkrankung führt.
bomedus: Lieber Herr Prof. Straube, im Namen der Leser und Patienten bedanken wir uns recht herzlich für das sehr aufschlussreiche Gespräch.